New World Whiskys

Die Graswurzelrevolution

Man könnte meinen, die gute, alte Welt des flüssigen Golds gerät aus dem Lot. Über Jahrhunderte schien sie wohl geordnet. Schottland war der Vorreiter. Irland, USA und Kanada genügte die Nebenrolle. Doch nicht erst seit gestern schießen nahezu an allen Ecken und Enden der Erde Whiskybrennereien wie Pilze aus dem Boden. Ob das gut geht? Ja, meint Heinfried Tacke, wenn man die Zeichen der Zeit zu deuten versteht.

 

Ich bin mir nicht sicher, ob sich alle unsere Leser an die wilden 1960er und goldenen 1970er Jahre erinnern können. Es werden sich, so möchte ich doch hoffen, auch jüngere Leser darunter befinden. Die Jahre, von denen ich reden möchte, waren so nicht nur die meiner Jugend. Auch die Zeitgeschichte deutet sie als Jahre des Aufbruchs, allen voran in der westlichen Welt. Alles Alte und Tradierte stand in Frage. Die Lust am Wandel war gewaltig. Man probierte sich neu aus. Ja, es waren verrückte Zeiten: wild und hoch aufgeladen, enorm romantisch und von einer guten Portion Naivität umweht. Und all das Aufbrechende fand seinen Ausdruck im Begriff der „Graswurzelrevolution“. Es ging um die Veränderung der Welt von unten. Nicht „top down“, sondern „bottom up“ – so würde man es heute wohl etwas technischer mit den Worten eines „Change Managements“ ausdrücken.

 


Auf diese rebellischen Jahre blickt man immer gern zurück, wenn es um grundlegende Veränderungen geht. Denn der damalige „Marsch durch die Institutionen“ und selbst die berüchtigte „Spaß-Guerilla“ der so genannten „Frankfurter Schule“ erzielten sehr wohl Wirkungen und brachte mit Joschka Fischer immerhin sogar einen weltweit geachteten deutschen Außenminister hervor. Auch kulturell, in Musik, Kunst, in Tanz, Theater, und nicht zuletzt im Lifestyle selbst, nistete sich davon Bleibendes ein. Das, was wir aktuell in der Whiskywelt erleben, erscheint mir damit durchaus vergleichbar, nur eben noch im Frühstadium. Weltweit sehen wir uns hier einem ungeheuren Aufbruch gegenüber. Wie ein Wildbach, bei dem die Dämme gebrochen sind, kommt es einem manchmal vor. Und doch gerät das Ganze mehr und mehr in Form und nimmt klarere, kraftvolle Konturen an. Es ist, als erlebten wir – man gestatte mir diesen Vergleich – ein zweites „Woodstock“, nur jetzt beim Whisky. Denn auch hier geht es ums Ausprobieren. Man will es selbst und neu wissen, will es anders und eigen machen, und stößt doch – wie schon damals – an die Grenzen der Etablierten. Es ist ein heftiges Aufrütteln. Aber die so vertraute Welt wird keineswegs aus den Angeln gehoben. Heißt zugleich: Es bedarf auch keiner Abwehrkämpfe. Besser noch wäre es, man bekäme in den Blick, was sich das neu gegründete „World Whisky Forum“ dafür zum Ziel gesetzt hat: Das Alte und Bewährte ins Gespräch zu bringen mit besagten neuen Triebkräften der Whiskywelt. Denn darin besteht der eigentliche Fingerzeig dieser klammheimlichen Revolte von unten. In ihr artikuliert sich der Nährboden für Innovationen. Dort gärt und reift bereits die Zukunft, während andere mit Wehmut noch den guten, alten Zeiten nachweinen. Bei genauerer Betrachtung sind nämlich die beiden Welten der Tradition von gestern und der Pioniere von heute enger miteinander verwoben, als der erste Augenschein es zu erkennen gibt. Wir kommen noch dazu.

 


Doch erinnern wir zuvor daran, dass auch die längst etablierten Japaner mit ihrem Whisky lange Zeit als ferne Exoten abgetan wurden. Heute gelten sie uns als Inbegriff von höchst edlen wie feinen Whiskys, für die Liebhaber ungeahnte Summen hinblättern. Davon war man am Beginn des eher zaghaft aufgeschlagenen Kapitels in der Whiskygeschichte im Jahr 1923 weit entfernt. Malt Whiskys standen damals kaum hoch im Kurs. Man musste also Blends kreieren, mithin selbst für eine eigene Vielfalt an Malt und Grain Whiskys sorgen und das auch noch unterm Dach einer Brennerei bzw. einer Firma. Hinzu kam die Abspaltung Masataka Taketsurus von der Firma Suntory, immerhin der eigentliche Architekt der japanischen Whiskyblüte, der zehn Jahre nach dem Aufbau von Yamazaki selbst mit der Brennerei Yoichi und Gründung der Firma Nikka in ein Abenteuer startete, dessen Erfolg lange in den Sternen stand. Tatsächlich dauert es danach nochmals gute 10 bis 15 Jahre und reichte bis weit nach Ende des 2. Weltkriegs, bevor der japanische Whisky überhaupt im Inland richtig Fuß gefasst hatte. Erste Nachahmer im Land der aufgehenden Sonne folgten so frühestens in den 60er Jahren und frühen 70er Jahren, also zu jener Zeit, wo die beiden großen Firmen Suntory und Nikka selbst an Grenzen stießen und nach Yamazaki und Yoichi neue Malt Whiskyrennereien bauen mussten (Miyagikyo & Hakushu). Die japanische Whiskywelt ist somit größer als wir denken. Da müssen Namen erst noch bekannter werden – allen voran „Karuizawa“ (aktuell still gelegt), „Hanyu“ (dto.) und „Chichibu“ (im Besitz des aus einer uralten Sake Dynastie stammenden Ichiro Akuto). Aber auch Brennereien wie „Fuji-Gotemba“ des japanischen Getränkegiganten Kirin oder auch „Eigashima“ bei Kobe – bei uns besser bekannt als „White Oak Distillery“ mit ihren „Akashi“ Whiskys – werden sicher noch mehr von sich reden machen, ganz zu schweigen von einer durchaus lebendigen Gründungsphase neuer Craft- und Micro-Destillerien, die auch Japan unlängst erlebt.

 

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