Springbank Distillery

Glück hinter Gittern

Allein schon der Name „Springbank“ bringt die Augen von Whisky-Fans in aller Welt zum Leuchten. Das gilt umso mehr für die Abfüllungen aus dieser ältesten noch bestehenden Destillerie in der schottischen Whisky-Region Campbeltown, vor allem für die nur vor Ort erhältlichen „Handfilled“ und die so genannten „Cage Bottles“. Unser Autor Wolfgang F. Rothe wollte wissen, was es mit diesen ebenso legendären wie geheimnisvollen Abfüllungen auf sich hat und begab sich auf Spurensuche.
 
 
Wer heutzutage in einer schottischen Whisky-Destillerie mit eigenem Besucherzentrum vorbeischaut, kann dort in der Regel eine große, mitunter sogar kaum noch überschaubare Auswahl an Souvenirs, Werbeartikeln und allerlei ähnlichem „Zeug“ käuflich erwerben: Gläser und Glasuntersetzer, Tassen und Geschirrtücher, Mützen, T-Shirts, Jacken und vieles mehr. Das Beste, weil typischste und authentischste Mitbringsel aus einer Whisky-Destillerie ist aber natürlich Whisky – und zwar vor allem der vor Ort, also in der betreffenden Destillerie selbst, produzierte Whisky.

 

Seit einigen Jahren ist es erfreulicherweise immer mehr üblich geworden, in den Destillerie-Shops nicht nur die üblichen Standardwhiskys, sondern auch besondere, nur vor Ort erhältliche Whiskys anzubieten: so genannte „Distillery Exclusive“- oder auch „Handfilled“-Abfüllungen. Während Erstere bereits fertig abgefüllt angeboten werden, kann man sich Letztere selbst aus einem im Shop bereitstehenden Fass abfüllen – was natürlich stets ein besonderes Erlebnis darstellt. Diese Möglichkeit gibt es zum Beispiel seit 2019 in allen öffentlich zugänglichen Destillerien von Diageo.

 

Nur vor Ort erhältlich

„Distillery Exclusive“-Abfüllungen gibt es eigentlich schon so lange, wie es Destillerien gibt. Selbst vor der Mitte des 20. Jahrhunderts, als Whisky fast ausschließlich in Form von Blends vertrieben wurde, war es durchaus möglich, in einer Destillerie oder bei einem örtlichen Händler vorbeizuschauen und dort Single Malt Whisky zu kaufen. Sowohl das Angebot als auch die Nachfrage waren aber in der Regel lokal begrenzt. Nicht selten bildete eine bestimmte Menge Single Malt Whisky auch einen Teil des Lohns derjenigen, die in der betreffenden Destillerie beschäftigt waren.

 

„Distillery Exclusive“-Abfüllungen in ihrer heutigen, vornehmlich für Destillerie-Besucher und Touristen bestimmten Form, sind hingegen eine Erfindung des ausgehenden 20. und vor allem des 21. Jahrhunderts. Das gilt umso mehr für die so genannten „Handfilled“-Abfüllungen, bei denen es sich im Grunde um eine besondere Form der „Distillery Exclusive“-Abfüllungen handelt: Nicht jede „Distillery Exclusive“-Abfüllung ist zugleich eine „Handfilled“-Abfüllung, aber jede „Handfilled“-Abfüllung ist – wenn man von möglichen Weiterverkäufen absieht – immer „Distillery Exclusive“.

 

Komplizierte Geschichte

Zu den Destillerien, die am längsten „Distillery Exclusive“- und „Handfilled“-Abfüllungen in ihrer heutigen Form anbieten, gehört die Springbank Distillery. Möglicherweise war sie sogar die erste überhaupt. Die Geschichte der „Distillery Exclusive“- und „Handfilled“-Abfüllungen von Springbank reicht nämlich weit ins 20. Jahrhundert zurück – wie weit, das weiß man in der Destillerie selbst nicht mehr so genau. Fakt ist, dass irgendwann im letzten Viertel des 20. Jahrhunderts erstmals im Shop ein Fass aufgestellt wurde, aus dem man sich Flaschen selbst abfüllen konnte.

 

Dieser Shop befand sich allerdings nicht in der Springbank Distillery selbst. Der heutige, direkt am Eingang zum Destilleriegelände gelegene Shop wurde nämlich erst im Jahr 2018 eröffnet. Vorher gab es nur den nach wie vor existierenden Shop der Firma Cadenhead’s an der Kreuzung von Union Street und Longrow South, gut 300 Meter von der Springbank Distillery entfernt. Cadenhead’s ist der älteste unabhängige Abfüller von Whisky in Schottland. Gegründet wurde das Traditionsunternehmen bereits 1842 – allerdings nicht in Campbeltown, sondern im fernen Aberdeen.

 

Kohle für Campbeltown

In Campbeltown ist die Firma Cadenhead‘s erst seit 1972 ansässig. Und das kam so: Im 19. Jahrhundert gab es in Campbeltown zeitweilig an die 30 aktive Whisky-Destillerien. Grund dafür waren unter anderem die nur ein paar Kilometer westlich von Campbeltown entfernt liegenden Kohlevorkommen. Bevor die meisten Destillerien auf Öl oder Gas umstellten, war man zur professionellen Whiskyproduktion auf Kohle angewiesen – und zwar auf große Mengen von Kohle. Kohle aber war in Campbeltown vergleichsweise billig, da man sie nicht aus großen Entfernungen heranschaffen musste.

 

Das Machrianish Coalfield, von dem die Destillerien in Campbeltown ihre Kohle bezogen, wurde schon seit dem späten Mittelalter genutzt. Der älteste urkundliche Beleg für eine industrielle Kohleförderung geht auf das Jahr 1678 zurück. 1773 begann man mit dem Bau eines Kanals, um die Kohlemine mit der Stadt zu verbinden; 1791 wurde er eröffnet. 1876 wurde der Kanal durch eine schmalspurige Eisenbahnverbindung ersetzt, die allerdings schon 1933 wieder Geschichte war. 1925 war in der Kohlemine nämlich ein Feuer ausgebrochen, das bald darauf zu ihrer Schließung führte.

 

Kohlen- und Whiskyhändler

Zwar wurde die Kohleförderung 1946, wenn auch in deutlich kleinerem Maßstab als zuvor, wieder aufgenommen, aber 1967 war endgültig Schluss. Die Kohlevorkommen waren so gut wie erschöpft, ein weiterer Abbau lohnte sich nicht mehr. Der Eigentümer der Springbank Distillery, das Familienunternehmen J&A Mitchell & Co Ltd, hatte sich aber rechtzeitig neue Wege erschlossen, um an Kohle zu gelangen. Anfang der 60er Jahre kaufte es die ortsansässige Firma Eaglesome, einen Feinkosthändler („Italian Warehouse“), der sich zugleich auch als Kohlenhändler etabliert hatte.

 

Sitz der Firma Eaglesome war der Reform Square, ein Wohnblock, der sich an der Kreuzung von Union Street und Longrow South und damit gleich gegenüber dem heutigen Cadenhead’s Shops befindet. Eine Folge des Besitzerwechsels war, dass sich Eaglesome nun auch zu einem Whiskyhändler entwickelte. Unter anderem hatte Eaglesome einen Blend namens Campbeltown Loch im Angebot, der 2021 als Blended Malt wiederbelebt wurde. Außerdem vertrieb man dort einen von Springbank produzierten Single Malt unter dem Namen der um 1923 geschlossenen Burnside Distillery.

 

Schottische Sparsamkeit

Nach dem Kauf der Firma Cadenhead’s und deren Umzug von Aberdeen nach Campbeltown wurden die beiden Unternehmen zusammengeschlossen. Das bisherige Ladengeschäft von Eaglesome wechselte bald darauf sowohl die Straßenseite als auch den Namen und wurde fortan unter dem Namen Cadenhead’s weiterbetrieben. Als die Springbank Distillery schließlich von Kohle auf Öl (und 2017 schließlich auf Gas) umstellte, wurde das traditionelle Feinkost- und Kohlegeschäft endgültig eingestellt. Cadenhead’s war fortan – und ist bis heute – ein reiner Spirituosen-Händler.

 

Und eben dort, in jenem Ladengeschäft von Cadenhead’s an der Kreuzung von Union Street und Longrow South, machte man sich irgendwann Gedanken darüber, wie man – typisch schottisch – jenen Whisky besser verwerten und vermarkten könnte, der beim Vermählen und Abfüllen anderer Whiskys übrigblieb. Und so entstand die Idee eines „Living Cask“, also eines Fasses, das in unregelmäßigen Abständen, aber kontinuierlich, mit den unterschiedlichsten Whisky-„Resten“ nachgefüllt wird, sobald sich die Kundschaft daraus bedient und Flaschen selbst abgefüllt hat.

 

Preiswert und begehrt

In dieses Fass wanderten ausschließlich Whiskys aus der Springbank Distillery, sodass es sich bei dessen Inhalt unzweifelhaft um einen Single Malt handelte. Im Unterschied zu den Standardabfüllungen, für die in unterschiedlichen Fässern gereifte Whiskys mit Bedacht so kombiniert werden, dass sie dem gewünschten Geschmacksprofil entsprechen, handelt es sich bei dem Whisky im „Living Cask“ um ein reines Zufallsprodukt. Hier war und ist kein Master Blender am Werk, sondern die Gunst der Stunde: Hinein kommt, was gerade an anderer Stelle übriggeblieben ist.

 

Die Nachfrage nach diesem vergleichsweise preiswerten Whisky ohne Altersangabe scheint den Erwartungen entsprochen zu haben. Denn irgendwann – wann genau, ist nicht bekannt – kamen zu dem einen „Living Cask“ im Cadenhead’s Shop zwei weitere hinzu: das erste ausschließlich für den 2,5-fach destillierten und leicht rauchigen Springbank Whisky, ein zweites für den 1985 erstmals abgefüllten, zweifach destillierten und stark rauchigen Longrow Whisky und ein drittes für den ab 1997 produzierten, dreifach destillierten und nichtrauchigen Hazelburn Whisky.

 

Ärger und Alternative

Doch 2017 gab’s plötzlich Ärger: „Her Majesty‘s Revenue and Customs“ (HMRC), die Steuerbehörde des Vereinigten Königreichs, beanstandete, dass der in den Fässern im Cadenhead’s Shop enthaltene Whisky außerhalb eines „bonded warehouse“ weiterreifen würde – was formell tatsächlich zutraf und nach wie vor strikt verboten ist. Um diesem Einwand entgegenzutreten, ersetzte man die bisherigen Fässer durch große Glasbehälter, die sich seit der Eröffnung des Shops auf dem Destilleriegelände dort befinden und mittlerweile um einen weiteren Behälter ergänzt wurden.

 

In diesem vierten Glasbehälter befindet sich Whisky aus der 2004, direkt neben der Springbank Distillery, neu gegründeten Glengyle Distillery, deren Whisky unter dem Markennamen Kilkerran abgefüllt wird. Auch wenn die Glengyle Distillery nur wenige Wochen im Jahr in Betrieb ist – nämlich immer dann, wenn die Springbank Distillery gewartet wird – ist das Konzept dasselbe: Was von anderen Kilkerran-Abfüllungen übrigbleibt, kommt in den Glasbehälter im Shop, bei dem es sich nun nicht mehr um ein „Living Cask“, sondern eher um eine überdimensionierte „Living Bottle“ handelt.

 

Heiliger Gral des Whiskys

Noch weitaus begehrter als die „Handfilled“-Whiskys aus der Springbank und der Glengyle Distillery ist jedoch eine andere Art der hier erhältlichen „Distillery Exclusive“-Abfüllungen: die so genannten „Cage Bottles“. Von ihrem Ruf her könnte man meinen, dass es die „Cage Bottles“ schon seit jeher gäbe. Dem ist aber nicht so. Sie wurden erst 2011 eingeführt, um den Besuchern der Destillerie nicht nur alterslose Zufallsprodukte, sondern auch eigens ausgewählte Abfüllungen mit Altersangaben und allen weiteren für Whiskyliebhaber relevanten Informationen anbieten zu können.

 

Diese so genannten „Cage Bottles“ sind so etwas wie der Heilige Gral des Whiskys. Wie begehrenswert sie sind, kann man allein schon daran sehen, dass sie nicht in offenen Regalen, sondern in einer Art Käfig („Cage“), näherhin einem vergitterten und verschlossenen Schrank, angeboten werden. Man kann sich also nicht selbst bedienen, sondern muss jemanden vom Personal bitten, den Schrank zu öffnen und die gewünschte Flasche herauszunehmen. Wohlgemerkt: eine (!) Flasche – denn der Verkauf der „Cage Bottles“ ist äußerst streng geregelt und limitiert.

 

Detaillierte Informationen

Pro Person darf man nämlich immer nur eine einzige Flasche kaufen – und zwar pro Woche. Es nützt also nichts, am Abend zu kommen und es am nächsten Morgen erneut zu probieren. Um solche Regelverstöße zu verhindern, wird der Name des Käufers sowohl auf der betreffenden Flasche als auch in einem eigenen Buch vermerkt. Die einzige Möglichkeit, mehr als nur eine Flasche zu ergattern, besteht darin – Pssst, nicht weitersagen! – eine andere Person vorzuschicken, die die betreffende Flasche für einen erwirbt. Dabei sollte man sich allerdings tunlichst nicht erwischen lassen...

 

Ursprünglich handelte es sich bei den „Cage Bottles“ um Fassproben, die von den Mitarbeitern der Destillerie rein zufällig oder nach Gutdünken ausgewählt wurden. Dementsprechend findet sich auf den äußerst schlichten und bis heute nahezu unveränderten Etiketten die Angabe: „Duty paid Sample“. Des Weiteren ist dort die Nummer des Lagerhauses, in dem der betreffende Whisky reifte, sowie dessen Alter, die Fassart, die Füllmenge, der Alkoholgehalt, das Destillationsdatum und – auf einem separaten, am Flaschenhals angebrachten Anhänger – das Abfülldatum vermerkt.

 

Aura des Geheimnisvollen

Die ersten „Cage Bottles“ wurden am 21. Juni 2011 abgefüllt und am 28. Juni 2011 verkauft. Der vergitterte Schrank, in dem sie seither angeboten werden, war damals eigens angefertigt worden. Er sollte die darin befindlichen Flaschen ganz bewusst mit einer Aura des Geheimnisvollen und Kostbaren umgeben – eine Marketing-Idee, die sich zweifellos bewährt hat. Obwohl der Springbank Shop bereits 2018 eröffnet wurde, ließ der Umzug des sogenannten Käfigs zwei Jahre auf sich warten. Ansonsten gab es inBezug auf die „Cage Bottles“ seither nur eine einzige weitere Veränderung.

 

Diese weitere Veränderung ist der hohen Nachfrage nach den „Cage Bottles“ geschuldet. Es handelt sich bei ihnen heute nämlich nicht mehr um beliebig zusammengetragene Fassproben, sondern um komplette Einzelfassabfüllungen, wobei die entsprechenden Fässer für diesen Zweck eigens ausgewählt werden. Angeblich wird der so genannte Käfig nur einmal am Tag, nämlich morgens, mit einer bestimmten Zahl an Flaschen bestückt und erst am nächsten Morgen wieder nachgefüllt. Mit anderen Worten ausgedrückt: Wenn der Käfig leer ist, hat man für
diesen Tag Pech gehabt.

 

Schlangen vor der Ladentür

Ob diese Praxis tatsächlich konsequent angewandt wird, muss allerdings offenbleiben. Von Seiten der Destillerieleitung möchte man dazu keine Angaben machen, um zu vermeiden, dass Interessenten morgens vor dem Laden Schlange stehen und, sobald dieser geöffnet wird, alle auf einmal hineinstürmen. „Wir tun unser Bestes, um unseren Kunden zu jedem Zeitpunkt das Beste von dem anzubieten, was uns zur Verfügung steht“, erklärt man vonseiten der Destillerieleitung kryptisch. Nichtsdestotroz bildet sich morgens vor der Ladentür trotzdem manchmal eine Schlange.

 

Zweifellos ist das Familienunternehmen J&A Mitchell & Co Ltd, dem sowohl die Springbank Distillery als auch die Glengyle Distillery gehören, wie jedes andere Unternehmen auf wirtschaftlichen Erfolg bedacht. Dennoch hat man das Gefühl, dass sowohl die Eigentümer als auch die Destillerieleitung keineswegs nur am Geld ihrer Kunden interessiert sind, sondern ebenso auch daran, ihnen mit ihren Produkten eine Freude zu machen. Wer jedenfalls schon mal das Glück hatte, eine „Cage Bottle“ zu erwerben und zu verkosten, kennt dieses Gefühl: Man kann es
nämlich schmecken!

 

wasserdeslebens@gmx.net

 

Fotovermerk

Wolfgang F. Rothe

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